CDs/LPs von und mit Mulo Francel

Mulo Francel & Friends - crossing life lines

Saxophonist und Weltenbummler Mulo Francel versammelt kreative Musiker mit biografischen Wurzeln in Mittel- und Ost-Europa. Mit beflügelndem Jazz und World Music feiern sie 75 Jahre Frieden zwischen den Ländern. Einen historisch beispiellosen Frieden, der alles andere als selbstverständlich ist. Einen Frieden, den es zu erhalten gilt.
Saxophonist and globetrotter Mulo Francel brings together creative musicians with biographical roots in Central and Eastern Europe. With inspiring jazz and world music they celebrate 75 years of peace between their countries. A historically unprecedented peace, which is anything but granted.  A peace that must be preserved.

 

featuring

Diknu Schneeberger (guitar)
Izabella Effenberg (vibraphone, array mbira, steel drums)
Philipp Schiepek (guitar)
David Gazarov (piano)
Bernd Lhotzky (piano)
Robert Kainar (drums)
Stefan Noelle (drums)
D.D. Lowka (bass, percussion)
Sven Faller (bass)
Jiří Bárta (cello)
&
Mulo Francel (saxes, clarinet)

Crossing Life Lines - Musiker

Die Idee zu diesem Album entstand während einer ausgedehnten Konzerttour von Mulo Francels Ensemble Quadro Nuevo durch Tschechien und Polen. In der Begegnung mit unzähligen herzlichen Menschen ließen ihm die Emotionen dieser Reise keine Ruhe.

Essenzielle Fragen drängten sich auf: Wie gehe ich mit dem Leid um, das die Generation unserer Großväter verursacht hat? Spricht man es an? Entschuldigt man sich?

CD Mulo Francel - Crossing Life LinesMulo Francel:
„Das Ende des Zweiten Weltkrieges ist über 75 Jahre her. Vorbei die Besatzung, das Internieren, das massenhafte Vergewaltigen und Töten, die Vertreibung aus der Heimat. Vorbei.

Zumindest in Mitteleuropa und den angrenzenden Ländern im östlichen Europa.
Ich suchte Kollegen, die mein Anliegen verstehen. Die aufgrund ihrer Biografie einen Sinn für das Überwinden von Grenzen und das Bauen von versöhnenden Brücken zwischen den Völkern haben.“

Wie die in Nürnberg lebende polnische Vibraphonistin Izabella Effenberg oder der Wiener Gitarrist Diknu Schneeberger, der jenische und Sinti-Wurzeln hat. Menschen, deren familiengeschichtliche DNA mehrschichtig ist. Stellvertreter für viele, die durch das Raster national geprägter Denkmustern fallen.
In einem friedlichen Projekt vereinen sich hier „slawische“ & „germanische“, tschechisch-böhmische &, sudetendeutsche, schlesische & ungarisch-österreichische, polnische & kaukasische, jüdische & christliche Elemente.
Ungeachtet ihrer Herkunft spielen sich die Künstler die klanglichen Bälle auf dem für den zeitgenössischen Jazz typischen Spielfeld der Ideen gegenseitig zu.
Hier kreuzen sich ihre Lebenslinien. Indem sie sich in ihrer Musizierkunst, in ihren Liedern treffen.
Lieder, die von den Biografien und Wurzeln der Beteiligten inspiriert sind.
So etwa eine groovige Neufassung von Smetanas Moldau oder der Song Frieda, das der herausragende junge Gitarrist Philipp Schiepek in Erinnerung an seine Urgroßmutter komponierte.

Mulo Francel:
„Mir war es wichtig, dass jeder dieser fantastischen Musiker seine schöpferische Kraft auf dem Album frei entfalten kann.
Unsere Musik ist eine Botschaft:

Lasst uns die Erkenntnis um den unschätzbaren Wert des Friedens wie eine leuchtende Fackel weitertragen, indem wir uns freundlich mit Respekt und Wertschätzung begegnen.“


The idea for this album was born during an extensive concert tour of Mulo Francel’s ensemble Quadro Nuevo through the Czech Republic and Poland. In the encounter with countless warm people, the emotions of this journey left him no peace.

Essential questions came up: How do I deal with the suffering caused by our grandfathers’ generation? Do I address it? Do we apologize?

Mulo Francel:
“The end of the Second World War was over 75 years ago. Gone are the occupation, the internment, the mass rape and killing, the expulsion from the homeland. Gone.
At least in Central Europe and the neighbouring countries in Eastern Europe.
I was looking for colleagues who understand my concern. Who, because of their biography, have a sense for overcoming borders and building reconciling bridges between peoples.”

Such as the Polish vibraphonist Izabella Effenberg, who lives in Nuremberg, or the Viennese guitarist Diknu Schneeberger, who has Yen and Sinti roots. People whose family-historical DNA is multi-layered. Substitutes for many who fall through the grid of nationally influenced patterns of thought.
In a peaceful project, “Slavic” & “Germanic”, Czech-Bohemian &, Sudeten German, Silesian & Hungarian-Austrian, Polish & Caucasian, Jewish & Christian elements come together here.
Regardless of their origin, the artists play the tonal balls to each other on the field of ideas typical of contemporary jazz.
Here their lifelines cross. By meeting each other in their musical art, in their songs.
Songs inspired by the biographies and roots of the participants.
Such as a groovy new version of Smetana’s Moldau or the song Frieda, which the young guitarist Philipp Schiepek composed in memory of his great-grandmother.

Mulo Francel:
“It was important to me that each of these fantastic musicians can freely develop his or her creative power on the album.”
“Our music is the message:
Let us spread the knowledge of the inestimable value of peace like a shining torch by treating each other with respect and appreciation.”

 

Zu den Hörbeispielen

 

Booklet-Text:

CD Mulo Francel - Crossing Life LinesCrossing Life Lines
In jener Nacht fand ich keinen Schlaf.
Seit Tagen war ich mit meiner Band Quadro Nuevo in Tschechien und Polen auf Tour. Sie führte uns bis nach Przemysl ganz im Osten auf ein tolles Akkordeon-Festival mit herzlichem Publikum. An unserem letzten Abend spielten wir in Gliwice (Gleiwitz) in Oberschlesien. Jakub, der junge Veranstalter, lud uns anschließend in ein Restaurant auf dem Lande ein, wo sein Bruder wunderbar kochte. Bis spät unterhielten wir uns und versuchten, uns gegenseitig Witze zu übersetzen. Der selbstgebrannte Schnaps von Jakubs Vater tat sein Übriges.
Noch immer lachend fiel ich ins Hotelbett. Doch bald schon wälzte ich mich von einer Seite zur anderen. Die Emotionen dieser Reise ließen mir keine Ruhe. Und eine entscheidende Frage: Wie gehe ich mit dem Leid um, das die Generation unserer Großväter verursacht hat? Spricht man es an? Entschuldigt man sich?
Das Ende des Zweiten Weltkrieges ist über 75 Jahre her. Vorbei die Besatzung, das Internieren, das massenhafte Vergewaltigen und Töten, die Vertreibung aus der Heimat. Vorbei.
Zumindest in Mitteleuropa und den angrenzenden Ländern im östlichen Europa.

In jener Nacht wurde die Idee zu diesem Album geboren.

Ich suchte hervorragende Musiker, die mein Anliegen verstehen. Die aufgrund ihrer Biografie einen Sinn für das Überwinden von Grenzenund das Bauen von versöhnenden Brücken zwischen den Völkern haben. Wie die in Nürnberg lebende polnische Vibraphonistin Izabella Effenberg oder der Wiener Gitarrist Diknu Schneeberger, der jenische und Sinti-Wurzeln hat. Menschen, deren familiengeschichtliche DNA „slawische“ & „germanische“, deutsch-böhmische & tschechisch-böhmische, sudetendeutsche & ungarisch-österreichische, jüdische & christliche Elemente tragen.

Unsere Musik ist eine Botschaft:
Lasst uns die Erkenntnis um den unschätzbaren Wert des Friedens wie eine leuchtende Fackel weitertragen, indem wir uns freundlich mit Respekt und Wertschätzung begegnen.
– Mulo Francel

 

Crossing Life Lines
That night I couldn‘t sleep. 
I had been on tour with my band Quadro Nuevo in the Czech Republic and Poland. It took us all the way to Przemysl in the very east to a great accordion festival with a heartfelt audience. On our last evening we played in Gliwice. Jakub, the young concert organizer, invited us afterwards to a restaurant in the countryside where his brother cooked wonderfully.  We talked until late and tried to translate jokes for each other. The home-made brandy from Jakub's father did the rest.
Still laughing I fell into my hotel bed. But soon I was rolling from one side to the other. The emotions of this journey left me no peace and on the contrary with a crucial question: How do I deal with the suffering caused by our grandfathers' generation? Do I address it? Do I apologize?
The end of the Second World War was over 75 years ago. Gone are the occupation, the internment, the mass rapes and killings, the expulsion from the homeland. Finished.
At least in Central Europe and the bordering countries of Eastern Europe. 
I was looking for excellent musicians who understand my concern. Who, because of their biography, have a sense for overcoming borders and building reconciling bridges between peoples. Such as the Polish vibraphonist Izabella Effenberg, who lives in Nuremberg, or the Viennese guitarist Diknu Schneeberger, who has Jenish and Sinti roots. People whose family-DNA historically carries "Slavic" & "Germanic", German-Bohemian & Czech-Bohemian, Sudeten German & Hungarian-Austrian, Jewish & Christian influences.

Our music is a message:
Let us pass on our knowledge about the inestimable value of peace like a shining torch by celebrating our encounters with respect and appreciation.
– Mulo Francel

 

 

1. Valse du Bohémien (composed by Bedřich Smetana as Moldau (czech: Vltava) / Arr. Mulo Francel) 5:12

Mulo Francel - tenor sax
Philipp Schiepek - guitar
David Gazarov - piano
Sven Faller - bass
Robert Kainar - drums
D.D. Lowka - percussion

 

CD Mulo Francel - Crossing Life Lines2. Ada’s Song (Mulo Francel & D.D. Lowka) 4:41

Mulo Francel - tenor sax
Izabella Effenberg - vibraphone
Diknu Schneeberger - guitar
Philipp Schiepek - guitar
Bernd Lhotzky - piano
Dietmar Lowka - bass
Stefan Noelle - drums

Wenn sie den Raum betrat war es, als ginge nach einer längeren Regenphase die Sonne auf.
Meine Großmutter Ada Hrubesch wuchs im böhmischen Teplice (Teplitz) in bescheidenen Verhältnissen auf. Ihr Vater Anton wurde von allen „General Ajax“ genannt, obwohl er eigentlich nur ein einfacher Briefträger war. Er ließ Ada und ihre Geschwister jeden Morgen im Hof antreten, um sich mit eiskaltem Bergwasser aus dem Brunnen zu waschen.
Ada hat beide Weltkriege, Besatzung, Vertreibung und Tod nächster Familienmitglieder erfahren. Vielleicht liebte sie gerade deswegen das Leben so sehr.
In den 1930er Jahren war sie an der Prager Universität eine der wenigen weiblichen Medizinstudentinnen. Dafür kratzte der Vater all sein Geld zusammen, forderte jedoch höchsten Fleiß und Hingabe.
Ein junger Bankangestellter eroberte das Herz des hübschen Mädels und sie trafen sich öfters. Da verlangte der strenge Vater eine Entscheidung: „Er oder das Studium.“
Ada entschied sich für die Liebe

When she entered a room it was as if the sun would rise after a long period of rain.
My grandmother Ada Hrubesch grew up in the Bohemian town of Teplice in very modest conditions. Her father Anton was called "General Ajax" by everyone, although he was actually only a simple postman. He insisted in Ada and her siblings lininig up every morning in their courtyard to wash themselves with ice-cold mountain water from the well.
Ada experienced both World Wars, occupation, expulsion and death of close family members. Maybe this is why she loved life so much.
In the 1930s, she was one of the few female medical students at Prague University. Her father scraped together all his money for it, but demanded the highest degree of diligence and dedication.
A young bank employee won the heart of the pretty girl and they started dating. So the stern father demanded a decision: "Him or college."
Ada chose Love.
– Mulo Francel

 

3. Look for the Silver Lining (Jerome Kern & Buddy DeSylva / Arr. Mulo Francel) 4:25

Mulo Francel - tenor sax
Philipp Schiepek - guitar
Bernd Lhotzky - piano
Dietmar Lowka - bass
Stefan Noelle - drums
Robert Kainar - timbales

Look for the silver lining
Whenever a cloud appears in the blue
Remember somewhere, the sun is shining
And so the right thing to do is make it shine for you

A heart, full of joy and gladness
Will always banish sadness and strife
So always look for the silver lining
And try to find the sunny side of life

 

4. Schaschlik (David Gazarov & Mulo Francel) 4:36

Mulo Francel - soprano sax
David Gazarov - piano
Sven Faller - bass
Robert Kainar - drums
D.D. Lowka - percussion

A song in style of the music of David Gazarov’s home town Baku. Played on weddings and grill parties. Composed of musical motifs of the multicultural Caucasian region. We had a lot of fun with this!

 

5. Lover Man – Oh, where can you be? (Jimmy Davis, Ram Ramirez & Jimmy Sherman / Arr. Mulo Francel) 7:26

Mulo Francel - tenor sax
David Gazarov - piano
Sven Faller - bass
Robert Kainar - drums

1945 sang die große Billie Holiday mit diesem Song Millionen von Frauen aus ihren Herzen.

In 1945 the great Billie Holiday sang this song to millions of women, an outcry straight from their hearts.

 

CD Mulo Francel - Crossing Life Lines6. Blues in X Moll (Mulo Francel) 4:57

Mulo Francel - tenor sax
David Gazarov - piano
Sven Faller - bass
Robert Kainar - drums

Herr X. Moll war Trompeter. Er lebte in einer Provinzhauptstadt weit im Osten des großen kaiserlich-königlichen Reiches. Früher war er Soldat und blies in der Kapelle des Musikkorps zackige Märsche, bis er aus Gründen, die er schon vergessen hatte, vorzeitig aus dem Militärdienst ausschied. Dennoch verpflichtete man ihn, um als beliebter Solist das sonntägliche Standkonzert im Stadtpark zu bereichern. Das sicherte Herrn Moll ein kleines Grundeinkommen. Gespielt wurde nicht nur Militärisches wie der unumstößliche Radetzkymarsch, sondern auch Walzer und hin und wieder Lieder, die im Prag, Wien, Krakau oder Budapest jener Tage gerne gehört wurden.
Auch sonst blies er seine Trompete zu vielerlei Anlässen.
Hochzeiten, Betriebsfeiern, in Gasthäusern und Weinschenken, zu Geburtstagen und Beerdigungen. Manchmal zog er als einziger Musiker mit einer Hand voll Hinterbliebener hinter einem Leichenwagen her. Die Sonne schien. Gleich, ob es ein Guter oder ein Schlechter gewesen war: man gab sich Mühe, Trauer auf dem Gesicht zu tragen. Am Grabe sodann spielte man dem Verstorbenem in gebührendem Abstand den letzten Zapfenstreich. Diese Angelegenheit lag ihm nicht. Stets beschlich ihn das Gefühl, zu unordentlich gekleidet zu sein, besser er wäre in Uniform erschienen, die er jedoch nur im Verbund mit den lustigen Kameraden des Musikkorps ertrug. Und, schwerwiegender noch, waren Beerdigungen meist zu früh am Tage, um die nicht geringe Entlohnung, die man ihm mit leidender Geste zusteckte, anschließend sofort in Wein umzusetzen. In sein Zimmer zurück kehren mochte er auch nicht. Er haste die Stubenluft, liebte die Jahrmärkte und Bierfeste. Da saß er gerne inmitten der johlenden Menge. Oder inmitten der Blasmusik. Gage gab es wenig. Doch da floss das Bier, da ronn der Schmäh, da sprudelten Kaskaden jubelnder Töne aus seinem Messinghorn.
Dann zog man nachts noch durch die Wirtshäuser, wechselte von Bier zu Wein und spät dann zum Neunziggrädigen, wie man den Schnaps dieses Landstriches nannte. 
Am liebsten spielte Moll auf den Bar-Mizwas in den Schtetln. Das ging nur, wenn ihn sein Freund, der Klarinettist A. Frontzek, den jeder nur Shmulo nannte, mitnahm, weil dieser zuvor den Vater des zum Mann werdenden Jünglings davon überzeugen konnte, dass dieser Jubeltag durch die funkensprühenden Trompetentöne erst zu einem richtig ausufernden Fest wurde.
Da jauchzten die beiden Bläser zur Begleitung von Akkordeon, Kontrabass, Klavier oder Hackbrett. Da verzerrte man die Töne, da durfte ins Horn gebrüllt, geträllert, gejohlt, geheult und gehaucht werden.
Da ließ man die Märsche zuhause. Hier durfte man die Songs der Platten spielen, die ein Bekannter von Herrn Frontzek von Geschäftsreisen aus Paris mitgebracht hatte: Louis Armstrong, Bix Beiderbecke, Coleman Hawkins, Django Reinhardt, ...
Nirgendwo sonst konnte man so „hot“ spielen wie auf den jiddischen Festen. Nirgendwo sonst war es so erwünscht, dass man den Fingern freien Lauf ließ, die Tempi bis ins Unsinnige steigerte. Ja, das war es: das Unsinnige musste man hier bringen. Das Rasende, das Feiernde und Spieler zugleich ergriff und in lustigen Tänzen schnell in die Ekstase trieb. Alte Männer, aufgetakelte Tanten und junge Mädchen, alle wurden gleichermaßen in den jubelnden Taumel gezogen. Da flogen Gläser über Tische, da fiel man schunkelnd rückwärts von den Stühlen, kletterte flugs wieder hinauf uns stampfte weiter.
Ja, das war das Leben! 
Wenn die Nacht schwand und das Tageslicht das Unsinnige zu verscheuchen suchte, wenn die letzten Tänzer auf den Bänken eingeschlafen waren, dann packten Moll und Frontzek ihre Instrumente in die mit rotem Samt ausgekleideten Etuis und schlenderten zum Bahnhofsrestaurant, wo man die Rückkehr ins Zimmer noch ein Stündchen hinauszögern könnte. Da standen sie dann an den Tresen gelehnt. Und bei einem dieser Male - einem einzigen - äußerte Herr Moll seinem Kollegen gegenüber - und auch nur ihm - dass er zwar dieses Leben schon möge, halt so hineingewachsen sei, dass man halt so dazu gekommen sei, wie die Jungfrau zum Kind, dass es schon angenehm sei, dieses junggesellige Leben mit all der Spielerei. Und wie behaglich es doch wäre, überhaupt keinen Vorgesetzten zu haben. Und frei zu sein. Und dass ihm... er trank den Neunziggrädigen aus und bestellte nebenbei einen schnellen Mokka. Und dass... Moll blickte hinauf in die schmutzige Ecke der Gaststube, wo ein mit staubdurchwirktem Fett beschichteter Ventilator hing. Und dass.... Er sah zu Boden, wo sein abgeschabter Instrumentenkoffer stand. Dann auf die Uhr. Das dauerte.
Und dann sagte er auch noch, dass es schon auch interessant aber vielleicht zu spät wäre.
Für eine schöne und kluge Frau, ein paar Kinder, ein Häuschen in einem der ruhigeren luftigeren Vororte einer größeren Stadt. Vielleicht auch einen Hund und ein Büro, in das man in süßer Regelmäßigkeit zur Arbeit ginge.
Dann zündete sich Herr Moll eine Zigarette an, kippte den strengen Kaffee in seinen Mund, verabschiedete sich flüchtig und wankte die Bahnhofstrasse hinunter.

Mr. X. Moll was a trumpeter. He lived in a Province capital far to the east of the great royal-imperial empire. He had been a soldier and played brisk marches in the music band of the corps until he retired early from the military for reasons he had already forgotten. Nevertheless he was hired to enrich the weekly Sunday concert in the public park as a popular soloist. This secured Mr. Moll a small basic income. He played not only military music, such as the irrefutable Radetzky March, but also waltzes and now and then songs that in those days were popular in Prague, Vienna, Krakow or Budapest.
But he also played his trumpet on many other occasions : at weddings, company celebrations, in inns and wine taverns, at birthdays and funerals. Sometimes he marched as the only musician with a handful of bereaved people behind a hearse. The sun was shining. No matter if the deceased had been good or bad: people always made an effort to display mourning on their faces. At the grave he then played the last trumpet call at a respectful distance. This was not his cup of tea. He always had the feeling that he wasn’t dressed properly. It would have been better if he had appeared in uniform, though he could only bear it in the company of the merry comrades of the music corps. And, even worse, funerals were usually too early in the day for the not inconsiderable remuneration (which was handed to him distressfully) to be immediately converted into wine afterwards. He did not like to return to his room either. He hated the stuffy air of the room, but loved the fairs and beer festivals. There he enjoyed sitting among the cheering crowd, or in the midst of the brass band. There wasn't much money to be earned. But the beer flowed, mixed with jibe and cascades of jubilant sounds gushed out of his brass horn.
At night everyone then continued wandering through the taverns, switching from beer to wine and even later to the Ninety-Grades, as they called the schnapps of this region.
But most of all Moll loved to play the bar mitzvahs in the Shtetl. This was only possible when his friend, the clarinetist A. Frontzek, whom everyone called Shmulo, took him along, having been able to convince the father of the young man who was to become an adult, that this day of rejoicing would only turn into a boisterous party thanks to the sparking trumpet sounds.
There the two wind instruments would exult, accompanied by accordion, double bass, piano or dulcimer. Sounds were allowed to be distorted,  horns could be roared, warbled, hooted, howled and whispered into.
The marches were left at home but one was allowed to play the songs from the records that an acquaintance of Mr. Frontzek had brought back from business trips to Paris: Louis Armstrong, Bix Beiderbecke, Coleman Hawkins, Django Reinhardt, ...
Nowhere else could you play as much in a frenzy as at the Yiddish parties. Nowhere else was it so desirable to let your fingers run free and to increase the tempi to the point of absurdity. Yes, that was it: you had to create absurd frenziness. A furiosity that captured the audience and musicians at the same time and quickly drove them into ecstasy through joyful dances. Old men, dolled up aunts and young girls were all drawn equally into the jubilant frenzy. Glasses flew over the tables, rocking people fell backwards from their chairs, climbed back up and stomped on.
Yes, those were the pleasures of life!
When the night disappeared and the daylight tried to scare away the craziness, when the last dancers on the benches had fallen asleep, Moll and Frontzek packed their instruments into their cases lined with red velvet and strolled to the train station inn, where they could delay returning to their room for another hour. There they stood leaning against the counter. And on one of these occasions - just one - Mr. Moll told his colleague - and him alone - that he certainly liked this life, that he had sort of grown into it, that he had more or less got it like the virgin Mary her child, that it was definitely pleasant, this bachelor life with just playing music. And how comfortable it was not to
have a boss at all. And to be free. And that he ... he drank the Ninety-Grades and ordered a quick mocha at the same time. And that ... Moll looked up into the dirty corner of the parlor, where a fan coated with dusty grease was hanging. And that ... He looked down to the floor where his shabby instrument case stood. Then to the clock. This lasted.
And then he also said that it could have been interesting but maybe too late.
For a beautiful and smart wife, a couple of kids, a cottage in one of the quieter, airier suburbs of a larger city. Maybe even a dog and an office where you go to work on a sweet regular basis.
Then Mr. Moll lit a cigarette, poured down the strong coffee, said a fleeting goodbye and staggered down the street.

 

CD Mulo Francel - Crossing Life Lines7. The Rabbi from Namysłów (Sven Faller) 4:58

Mulo Francel - clarinet
Philipp Schiepek - guitar
Sven Faller - bass
Robert Kainar - drums
D.D. Lowka - percussion

Gert Laqueur war in den 30er Jahren der Verlobte meiner Großmutter. 1938 musste er mit seinem jüdischen Vater Deutschland verlassen und ließ sich in Amerika nieder. Nach dem Tod seiner amerikanischen Ehefrau kehrte er nach Deutschland zurück und löste nach über 32 Jahren das Versprechen ein, meine Großmutter zu heiraten. Meine Mutter, die ihren leiblichen Vater nie gekannt hatte, war begeistert von der Erweiterung unserer kleinen Familie. 2017 fand in Polen ein Treffen der Familie Laqueur statt, an dem Menschen aus Deutschland, den USA und Israel teilnahmen, darunter meine Mutter und zwei ihrer amerikanischen Stiefschwestern. Höhepunkt war der Besuch des jüdischen Friedhofs in Namysłów (Namslau) in Schlesien, den eine polnische Schulklasse liebevoll hergerichtet hatte. Dort steht der Grabstein von Rabbi David Laqueur, dem „Urvater" der Sippe. 

Gert Laqueur was the fiancé of my grandmother in the thirties. In 1938 he had to leave Germany with his Jewish father and settled in America. After the death of his American wife he returned to Germany and kept his promise more than 32 years later to marry my grandmother. My mother, who had never known her biological father, was excited about the expansion of our small family. In 2017, a reunion of the Laqueur family took place in Poland, attended by people from Germany, the USA and Israel, including my mother and two of her American stepsisters. The highlight was a visit to the Jewish cemetery in Namysłów, which had been lovingly kept by a Polish school class. There to be found is the gravestone of Rabbi David Laqueur, the "forefather" of the clan.
– Sven Faller

 

8. Wiosna  (Izabella Effenberg) 6:09

Mulo Francel  soprano sax
Izabella Effenberg array mbira, steel drum & vibraphone
Philipp Schiepek  guitar
Sven Faller  bass
Robert Kainar drums

Wiosna (polski) = spring (english) = Frühling (deutsch) = primavera (italiano)

 

CD Mulo Francel - Crossing Life Lines9. Ein Sommertag (Hans Winterberg / Arr. Chris Weller) 4:25

Mulo Francel - tenor sax
Izabella Effenberg - vibraphone
Bernd Lhotzky - piano
Dietmar Lowka - bass
Stefan Noelle - drums

Der Komponist Hans Winterberg stammte aus einer jüdischen Familie in Prag und war ein Überlebender des Konzentrationslagers im Ghetto Theresienstadt. 1901 geboren, wuchs er zunächst im Kaisertum Österreich auf, nach dem ersten Weltkrieg wurde er Bürger der Tschechoslowakei, nach seiner Ausreise 1947 wurde er in Bayern Deutscher. Er bewegte sich hier im Umfeld von vertriebenen sudetendeutschen Künstlern und bekam 1963 für sein Werk den sudetendeutschen Kulturpreis. Aber was war seine Identität? Winterberg fühlte sich als Prager Jude vermutlich sowohl der deutschen wie der tschechischen Kultur verbunden. 
An ihm wird deutlich, dass die Frage nach einer eindeutigen Festlegung einer Identität von nationalistischen Denkschemen ausgeht und an der menschlichen Realität seiner Heimatstadt Prag vorbeigeht.

The composer Hans Winterberg came from a Jewish family in Prague and was a survivor of the concentration camp in the ghetto of Theresienstadt. Born in 1901, he first grew up in the Empire of Austria, then, after World War I, became a citizen of Czechoslovakia, and after his emigration in 1947 a German in Bavaria.  There he surrounded himself with expelled Sudeten German artists and was awarded the Sudeten German Culture Prize for his work in 1963. But what was his identity? As a Jew from Prague, Winterberg probably felt deeply rooted in both the German and Czech culture. 
Through his example it is obvious that the question of an unambiguous definition of identity is based on nationalistic thought patterns and misses the human reality of a hometown like Prague for him.
– Prof. Dr. Andreas Otto Weber

 

10. September Remember (Mulo Francel) 5:40

Mulo Francel - tenor sax
Diknu Schneeberger - guitar
Bernd Lhotzky - piano
Dietmar Lowka - bass
Stefan Noelle - drums

 

11. Sám s děvčetem v dešti (Allein mit einem Mädchen im Regen) (Komp.: Kamil Běhounek / Arr. Leonhard Kuhn & Mulo Francel) 6:29

Mulo Francel - tenor sax
Izabella Effenberg - vibraphone
Philipp Schiepek - guitar
Bernd Lhotzky - piano
Dietmar Lowka - bass
Robert Kainar - drums
Jiří Bárta - cello

Eines der Lieder, zu dem man in den 1930er Jahren getanzt hat. In Budapest, in Prag, in Bratislava (Preßburg), in Brünn ... Eines der vielen Lieder, die heute fast vergessen sind.
Nicht vergessen ist das Gefühl, das R.A. Dvorský damals besungen hat und das alle Liebenden bis heute kennen:
Allein mit einem Mädchen im Regen

This is one of the songs that people danced to in the 1930s. In Budapest, in Prague, in Bratislava, in Brno ... One of the many songs that today are almost forgotten.
Not forgotten though is the feeling that R.A. Dvorský sang about in those times and that all lovers still know today:
Alone with a girl in the rain

 

CD Mulo Francel - Crossing Life Lines12. Naab (Sven Faller) 6:15

Mulo Francel - tenor sax
Izabella Effenberg - vibraphone
Philipp Schiepek - guitar
David Gazarov - piano
Sven Faller - bass
Robert Kainar - drums
D.D. Lowka - percussion

Die Quelle der Naab befindet sich inmitten eines abgelegenen verzaubert anmutenden Teils des Oberpfälzer Waldes. Ich liebe diesen Platz. Wenn man mit beiden Beinen über dem Rinnsal steht, befindet sich ein Fuß in Deutschland und einer in Tschechien. Jahrelang war dieses Waldstück unzugänglich. Der Eiserne Vorhang hatte die Menschen Ost- und Westeuropas auf eine Weise getrennt, die in der Geschichte ohne Beispiel war. Die Nachwirkungen dieser dramatischen Teilung sind immer noch spürbar. Ich habe zahlreiche Wanderungen im Grenzgebiet unternommen, bei denen man zu Fuß immer wieder die Grenze überschreitet. Dabei kam ich mir vor wie ein Schneider, der mit großen Zick-Zack-Bewegungen versucht, ein zerrissenes Tuch zusammen zu nähen.

The spring of the river Naab is in the middle of a remote, enchanted part of the Upper Palatinate Forest. I love this place. If you stand with both feet above the trickle, one foot is in Germany and one in the Czech Republic. For years this part of the forest was inaccessible. The Iron Curtain had separated the people of Eastern and Western Europe in a way that was unprecedented in history. The aftermath of this dramatic division is still tangible. I have undertaken numerous hikes in this border area, during which one repeatedly crosses the border. I always felt like a tailor trying to sew a torn cloth together with large zigzag movements.
– Sven Faller

 

13. Frieda (Philipp Schiepek) 4:53

Mulo Francel - tenor sax
Izabella Effenberg - vibraphone
Philipp Schiepek - guitar
Sven Faller - bass
Robert Kainar - drums

Weiße Kirschblüten.
Dazwischen Frieda im bunten Kleid.
An ihrer Hand das Kind.
Ihr Mann im Feld. 

Als meine Urgroßmutter Frieda im Alter von 90 Jahren starb ging ein bewegtes Leben zu Ende. Inspiriert von ihren Erzählungen entstand das Stück „Frieda“: Ich stelle sie mir vor, wie sie als Kind auf einer großen Wiese hinter dem elterlichen Hof in Zahrádka (Sachradka) im östlichen Böhmen spielt. Ich sehe aber auch eine verwitwete junge Frau, die nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren Eltern und zwei Kindern einen Neuanfang im Nördlinger Ries wagen muss. Ich sehe eine Großmutter, die mit fast sechzig Jahren erneut heiratet und auch nach dem Tod ihres zweiten Ehemannes im hohen Alter noch einmal fast neu beginnt. Ich sehe eine Urgroßmutter.
Ich sehe ein bewegtes Leben. 

White cherry blossoms.
Amongst them Frieda in a colorful dress
Holding her child by the hand.
Her husband at war.

When my great-grandmother Frieda died at the age of 90, an eventful life came to an end. Inspired by her stories, the song "Frieda" was written: I imagine her as a child playing in a large meadow behind her parents' farm in Zahrádka. But I also see a widowed young woman who, after the Second World War, has to make a fresh start in the region of Nördlinger Ries with her parents and two children. I see a grandmother who remarries at the age of almost sixty and then starts over again after the death of her second husband at a very advanced age. I see a great-grandmother.
I see an eventful life.  
– Philipp Schiepek

 

14. Fredinand´s Prelude (Frédéric Chopin / Arr. Bernd Lhotzky) 4:36

Mulo Francel - tenor sax
Bernd Lhotzky - piano
Dietmar Lowka - bass
Stefan Noelle - drums

Diese beiden hätten sich bestimmt nie zusammen an einen Tisch gesetzt: Der Feingeist Frédéric Chopin, der in eleganten Pariser Salons ein und aus ging, und der hemdsärmelige Ferdinand „Jelly Roll“ Morton, der in den Bordellen am Mississippi musizierte. Und doch haben der Pole und der Amerikaner mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick meinen möchte. Angefangen bei den französischen Wurzeln, sind sie als virtuose Pianisten und geniale Komponisten mit völlig eigener und unverwechselbarer Tonsprache in die Musikgeschichte eingegangen.
Dem Zauber von Chopins E-moll-Prélude sind schon vor uns einige Jazzmusiker erlegen. Es gibt großartige Bearbeitungen von Gerry Mulligan, Charlie Shavers, Eugen Cicero. Bei dem vorliegenden Arrangement haben wir die zwei ungleichen Charaktere Frédéric und Ferdinand aufeinandertreffen lassen. Deren Vornamen verschmelzen in unserem persönlichen Titel für dieses Prélude, das sich auch als Schlussakt eignet.

These two would certainly never even have sat down at the same table together: The sophisticated Frédéric Chopin, who socialized in elegant Parisian salons, and the shirt-sleeved Ferdinand "Jelly Roll" Morton, who played music in the brothels of Mississippi. And yet the Pole and the American have more in common than one might think at first glance. Starting with their French roots, they both have gone down in music history as virtuoso pianists and brilliant composers with their own unique and unmistakable musical language.
Some jazz musicians have succumbed to the magic of Chopin's E minor Prelude before us. There are great arrangements by Gerry Mulligan, Charlie Shavers, Eugen Cicero. In the present arrangement we let the two disparate characters Frédéric and Ferdinand meet. Their first names merge in our personal title for this prelude, which is also suitable for our final act.
– Bernd Lhotzky

 

Product Info:

Recorded by Stefan Gienger and Alex Hubmann at Mastermix Studio Munich (February & March 2020)
Mixed by Philipp Winter & mastered by Adrian von Ripka at Bauer Studios Ludwigsburg
Cover art by Olaf Becker
Photos by Annette Hempfling (cover photo), Franz Heller (musicians), Francel Family (Ada / September Remember / River & Border), Catherine Moll (Mr. Frontzek & Mr. Moll), Bernadette Laqueur (cemetery in Namysłów), Peter Kreitmeir (Hans Winterberg)
English translation by Sabine Kazoglou

Text supervised by Julie Fellmann

Produced by Mulo Francel

Total time 75:14 min.

Das Album erschien als CD & LP im Sommer 2020 auf dem Label GLM music.

The album was released on GLM Music in summer 2020 as CD and Vinyl LP.

 

 

LP Mulo Francel - Crossing Life LinesSongliste LP:

Side A

Valse du Bohémien 5:12
(composed by Bedřich Smetana as Moldau (czech: Vltava) / Arr. Mulo Francel)

Ada’s Song 4:41
(Mulo Francel & D.D. Lowka)

Look for the Silver Linin 4:25
(Jerome Kern & Buddy DeSylva / Arr. Mulo Francel)

Naab 6:15
(Sven Faller)

 

LP Mulo Francel - Crossing Life LinesSide B

Blues in X Moll 4:57
(Mulo Francel)

Schaschlik 
4:37
(David Gazarov & Mulo Francel)

Sám s děvčetem v dešti 6:29
Alone with a Girl in the Rain
(Komp.: Kamil Běhounek / Arr. Leonhard Kuhn & Mulo Francel)

 

vinyl bonus track:
Nostalgia 5:27
(Mulo Francel)

 

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Herzlichen Dank an das Haus des Deutschen Ostens München.
Dieses Projekt wird aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales gefördert.



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